Rede Diplomfeier 2003

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Vom Umgang mit Risiken

Enlarged view: Dr. Basil Heeb

Dr. Basil Heeb

Liebe Absolventinnen und Absolventen,
liebe Eltern und Freunde,
sehr geehrte Professoren,

Es ist mir eine grosse Freude, neun Jahre nachdem ich an dieser Stätte das Doktordiplom entgegengenommen habe, wiederum hier zu stehen – diesmal auf der Seite der Gratulanten. Ich weiss, wie wichtig der heutige Tag für Euch ist, mit welchem Einsatz ihr auf den erfolgreichen Abschluss des Studiums hingearbeitet habt, und möchte Euch zuallererst zum Erreichten herzlich gratulieren.

Gleich zu Beginn möchte ich mich auch herzlich bei den Professoren Gauckler und Spencer bedanken, die mich eingeladen haben. Speziell da ich momentan im Ausland arbeite und etwas den Kontakt zur „Alma Mater“ verloren habe, habe ich mich sehr gefreut und keinen Augenblick gezögert. Ich überlegte dann, was ich denn euch zu sagen habe. Vieles, sehr vieles sogar habe ich seit dem Studienabschluss erlebt, vieles Neues gelernt und angewendet. Die Frage stellte sich also was für euch relevant sein könnte – und zu diesem Zweck habe ich mich gedanklich an meine Diplomfeier zurückversetzt. Ich erinnere mich an verschiedene Gefühle: Zufriedenheit, ja Stolz über das Erreichte und Vorfreude auch das anschliessende Fest mit Freunden überwiegten sicherlich. Aber da war auch eine gewisse Unruhe, vielleicht sogar Unsicherheit, über die Zukunft und ob die neuen, Ziele, die ich mir gesetzt hatte, auch erreicht werden und mir die gleiche Befriedigung wie das Studium und Doktorat geben könnten. Inzwischen habe ich gelernt, dass genau diese Unsicherheit Leute nicht nur anspornen und reizen, sondern auch lähmen kann – und das sollte euch nicht passieren. Ich habe gelernt, dass die richtige Einstellung und der richtige Umgang mit Unsicherheit und den damit verbundenen Risiken enorm wichtig ist. Und damit hatte ich das Gefühl, dass ich ein durchaus relevantes Thema für heute gefunden hatte.

Lassen sie mich mit zwei Kerngedanken zum Thema „zum Umgang mit Risiken“ oder Risikomanagement starten.

Zuallererst ist es wichtig zu sehen, dass der bewusste Umgang mit Risiken generell eine der wichtigsten Grundlagen der heutigen Gesellschaft ist. Solange die Menschen geglaubt haben, dass ihr Schicksal in den Händen von Göttern oder Natur liegt, denen sie schutzlos ausgeliefert sind, wurde die Zukunft als ein Spiegel der Vergangenheit betrachtet oder bestenfalls von Wahrsagern bestimmt, die sozusagen das Monopol des Wissens über künftige Ereignisse besassen. Mit dem Verstehen, Messen und Abwägen von Risiken wurde das Eingehen von Risiken zum zentralen Treiber der Gesellschaft. Interessanterweise waren die ersten, die die Wahrscheinlichkeiten künftiger Ereignisse mathematisch verstehen und ihr Verhalten entsprechend anpassen wollten, nicht die gescheiten Griechen oder die Araber, die unser Zahlensystem einführten. Nein – es waren die würfelspielenden Fürsten zu den Zeiten der Renaissance. Sie begannen nämlich das zu tun, was wir heute als „Risikomanagement“ bezeichnen: sie beauftragten ihre Hofmathematiker mit der Aufgabe, die Wahrscheinlichkeit von Sieg oder Niederlage in bestimmten Spielsituationen zu berechnen. ... Beispiel unvollständiges Spiel ... Über die Jahrhunderte wurden dann die Konzepte komplizierter und die mathematischen Berechnungen präziser. Heute wird Risikomanagement überall angewendet und stellen einen bedeutenden Faktor für Wirtschaftswachstum, Lebensqualität und technologischen Fortschritt dar.

Zweitens ist das Thema aktueller und relevanter denn je, sind wir doch in letzter Zeit um viele Illusionen ärmer geworden, was unsere heutige und künftige Sicherheit betrifft. Es ist uns mehr oder weniger schmerzhaft in Erinnerung gerufen worden, wie wichtig der Umgang mit Unsicherheit oder eben Risiken ist. Es ist nicht erstaunlich, sondern im Gegenteil sehr passend, dass eine Schweizer Privatbank den Anlagekommentar vom März 2003 mit „Manifest gegen die Sicherheit“ betitelt. Bitte erwarten Sie jetzt keine sicherheitspolitischen Analysen, Kommentare über die Risiken der Kapitalmärkte oder Ansichten über die Risiken von kollektiven Vorsorgesystemen, obwohl alle diese Gebiete momentan faszinierenden Anschauungsunterricht über Risikomanagement geben.

Das bringt mich zum Ende der Einleitung. Ich möchte nun also einige Erfahrungen weitergeben, die ich beim Umgang mit (Karriere) Risiken gesammelt habe. Wie sie aus dem Programm entnehmen können, bin ich momentan Partner von McKinsey & Company in Athen – offensichtlich kein geradliniger Weg vom Dr. sc. Techn. mit Fachgebiet keramische Supraleiter. Und offensichtlich habe ich durchaus Risiken auf mich genommen und mehr oder weniger sämtliche professionelle Parameter wie Beruf, Rolle, Fachgebiet (ich betreue heute hauptsächlich Finanzunternehmen) oder Geographie geändert. Ich möchte jedoch aufzeigen, dass die Entwicklung einerseits schrittweise erfolgte und andererseits auf einigen sehr grundlegenden Verhaltensmustern beruht. In diesem Sinne möchte ich Euch einige Erfahrungen im Verstehen und Abwägen von beruflichen Risiken (Risk management) weitergeben, und wie ich versucht habe, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines ungünstigen Resultates oder seiner Wirkung zu verringern (risk mitigation).

Sicherheit und Risikomanagement am Anfang der beruflichen Karriere

Ausmass der Unsicherheit

Ich will nicht über die Tatsache sprechen, dass eure Karriere unsicher d.h. risikobehaftet ist; ihr wisst das genauso wie ich. Ich möchte jedoch festhalten, dass die Gründe für diese Unsicherheit nicht in der Kurzsichtigkeit heutiger CEOs liegen oder in der Geringschätzung von Mitarbeitern in Unternehmen. Im Gegenteil, in vielen Industrien wird das Humankapital als „intangible assets“ immer bedeutender, d.h. überdurchschnittliche Mitarbeiter sind ein wichtigerer Wettbewerbsvorteil als der Zugang zu Kapital oder Investitionsgütern. Das bedeutet, dass das zunehmende Karriererisiko vor allem von fundamentalen Entwicklungen geprägt ist. Lassen sie mich nur zwei Beispiele nennen:

  • Selbst grosse Unternehmen haben heute eine kürzere Lebensspanne. Die Lebensdauer von Unternehmen im S&P500 Index ist über die Jahrzehnte etwa halbiert. Fusionen, Übernahmen oder Konkurse sind viel häufiger geworden, und alle diese Besitzänderungen haben selbstverständlich einschneidende Veränderungen für die Mitarbeiter zu Folge – positive und negative.
  • Nachdem seit Beginn der 70er Jahre viele Produktionsprozesse ins Ausland verlegt wurden, werden heute vermehrt Servicefunktionen ausgelagert (sogenanntes „Offshoring“). Ermöglicht wird diese Entwicklung durch die massive Reduktion der Kommunikationskosten (89% seit 1997) und der enormen Differenz der Lohnkosten (80–88% für vergleichbare Profile). In Indien wurden bis heute bereits mehr als 10,000 Arbeitsplätze in Call Centers, IT Services, oder Back-Office Operations für englischsprachige Unternehmen geschaffen; die Philippinen, Türkei oder Mauritius wollen eine ähnliche Entwicklung erreichen für spanisch-, deutsch- oder französischsprechende Unternehmen. Ein sehr gutes Beispiel ist General Electrics, einer der weltweit grössten Konzerne, der die sogenannte 70/70/70 Regel definiert hat: 70% der Leistungen Outsourcing, davon 70% offshoring, davon 70% nach Indien; bis Ende des naechsten Jahres will GE Capital 20,000 Arbeitsplätze nach Indien verlegt haben!

Nun – beide Beispiele illustrieren, dass Diskontinuitäten in einer heutigen Karriere fast an der Tagesordnung sind und ein bewusster Umgang damit enorme Opportunitäten ermöglicht.

Umgang mit Karriere-Risiken

Schon die Spieler des Mittelalters wussten, dass höheres Risiko auch grössere Gewinne bedeuten kann! Und im Gegensatz zu ihnen könnt ihr eure Zukunft stark beeinflussen – ihr seid nicht dem Rollen des Würfels und seiner mathematischen Genauigkeit ausgeliefert. Wenn ihr auch die globalen Trends, die ich kurz skizziert habe, nicht beeinflussen könnt, so könnt ihr die Auswirkungen, den Einfluss auf eure persönliche Karriere zu einem gewissen Grad steuern. Es erstaunt euch vielleicht, dass was ich euch jetzt erzählen werde, wenig mit komplexen Verhaltensmustern zu tun hat, sondern viel mit gesundem Menschenverstand; aber glaubt mir – es ist ganz wesentlich das grundsaetzliche Verhalten und die Einstellung, mit dem ihr eure künftigen Aufgaben anpackt, das euch hilft, die Risiken in Opportunitäten umzuwandeln. Aufgrund meiner Erfahrungen sind die Prioritäten die folgenden:

  • Leidenschaft und Einsatzbereitschaft („Drive for Excellence“). Grundsätzlich gilt, dass was ihr macht, müsst ihr nicht nur gut, sondern sehr gut machen. Die Messlatte liegt heute überall sehr hoch. Oder andersherum: ihr sollt nicht das machen, was andere machen oder was scheinbar einfacher oder schneller Erfolg bringt, sondern was euch begeistert. Ich bin nicht zu McKinsey & Company gegangen, um schneller Manager zu werden, oder einen Beruf mit hohem Prestige oder Lohn zu haben. Ich wollte herausgefordert werden, mich einsetzen und Fortschritte machen – heute genauso wie vor 8 Jahren.
  • Integrität. Integrität ist ein etwas altmodischer Wert, der aber in letzter Zeit wieder (und zu Recht) an Stellenwert gewonnen hat. Integrität ist letztendlich eine unabdingbare Voraussetzung, um Vertrauen zu schaffen. In allen Situationen, in denen Aufrichtigkeit und Linientreue kurzfristig der schwierigere Weg war, habe ich längerfristig immer davon profitiert. Und in keinem Arbeitsverhältnis ist mir unwohler, als wenn ich meinem Gegenüber kein Vertrauen bezüglich Offenheit und Ehrlichkeit entgegenbringen kann.
  • Kontinuierliches und schrittweises Vorgehen. Die Schlüsselworte hier sind stetige Lernbereitschaft und Ausdauer. Etwas naturwissenschaftlicher ausgedrückt: ich habe bei Karriereschritten versucht, nur eine Variable zu haben und die restlichen Parameter weitgehend konstant zu halten. Lassen sie mich kurz anhand meiner Entwicklung in den vergangenen 8 Jahren als Beispiel erklären, was ich darunter verstehe. Als ich bei McKinsey & Company in Zürich begonnen habe, lag mein Fokus klar auf dem Lernen der neuen Rolle als Berater und später als Projektleiter. Als ich mich als Projektleiter wohl gefühlt habe, beschloss ich nach New York zu gehen, um mich in einer anderen Arbeitskultur durchzusetzen. Und als ich nach Zürich und New York genug von grossen, etablierten Offices hatte, bin ich nach Athen gewechselt, um die Präsenz im griechischen Markt und ein neues Office zu etablieren. Was nach fast 3 Jahren in Athen folgt, weiss ich noch nicht, aber erste Gedanken bestehen schon ... Eine solche Entwicklung braucht ab und zu Geduld, aber auch eine absolut ehrliche Selbsteinschätzung über die eigenen Fähigkeiten und den Zeitpunkt, die gewohnte Umgebung zu wechseln.

Damit komme ich zum Schluss. Ich bin der Überzeugung, dass Unsicherheit und die damit verbundenen Risiken fest zu unserem privaten und beruflichen Leben gehören. Da sie letztendlich auch die Treiber unserer Entwicklung sind, sollten wir sie entsprechend mutig und aktiv angehen. Das Wort Risiko stammt schliesslich vom lateinischen “risicare“, das wagen bedeutet; in diesem Sinn ist Risiko mehr Wahl als Schicksal.

Ich wünsche allen einen guten Start in die berufliche Karriere und hoffe, dass ihr euch selbstbewusst und verantwortungsvoll weiterentwickelt, und so eure Ziele erreicht.

Dr. Basil Heeb

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